Subtilisiert euch! / Ein Sensing-Rundbrief

Jeden Montag erscheint seit vielen Jahren ein Rundbrief aus meiner Hand mit Ausführungen zum Yoga, zur Spiritualität und mit Beobachtungen, unsere geistige Gegenwart betreffend. Mit der Gründung des Sensing zu Jahresbeginn ergibt es sich, vermehrt den Grundlagen und Fundamenten des “neuen” Yogas nachzuspüren. So veröffentlichte ich am 27. Juli 2020 die folgenden Gedanken über das subtile Leben…

Liebe Yogis,

subtil zu agieren, bedeutet Verbindung zu leben. Bedeutet, zu 100 % im Moment einzuleben und aus dessen Mitte zu empfinden und zu agieren. Subtilität zu praktizieren, kann einen Einstieg in den Fluss des Lebens bedeuten, der doch uns allen so sehr am Herzen liegt. Warum ist das so? Weil der Fluss dafür steht, nicht neben sich zu stehen, nicht außer sich zu sein oder sich gar getrennt vom Leben zu wähnen. Im Fluss ist Einheit des Seins.

Subtil oder bedacht zu leben, dies kann in den verschiedensten Augenblicken des Lebens eingeübt werden. Ja, es braucht Übung. Es braucht ein immer wiederkehrendes Bedachtsein auf das fokussierte, subtile Leben. Bei der morgendlichen Hygiene oder Reinigung der Wohnstatt, bei der Bereitung des Mahles, bei der Berührung des Partners oder der Beobachtung einer sich eröffnenden Blüte - und nicht zuletzt in der Praxis des Yogas, wie es die Revolution des Sensings nahe legt.

Was steht dem Eintritt ins Reich der Subtilität entgegen? Zum Einen eine zu geringe Wertschätzung des je Vorhandenen. Zum Anderen ein zu geringes Vertrauen, dass genau dieser Augenblick - wo du diesen Text liest und wirken lässt jenseits einer hastigen Informationsfindung - zählt. Dass nicht erst in der Erledigung einer Sache jenseits dieses jetzigen Momentes dein Leben ins Leben tritt. Es tritt immer genau jetzt ins Leben. Nur dort ist Freiheit von Angst. Das ist die berühmte Schwelle.

PS: Schlägt man in einem Duden-Fremdwörterbuch den Begriff “subtil” nach, so findet man die Übertragungen: “zart, fein, sorgsam”. Gehen wir noch etwas tiefer und ziehen ein etymologisches Wörterbuch heran, das der tatsächlichen Wurzel des Wortes auf den Grund geht, erfahren wir folgendes von Interesse: Das Wort subtil gehört seit dem 13. Jahrhundert zum erweiterten Standardwortschatz. Das Mittelhochdeutsche entlehnt dabei dieses Wort aus dem Lateinischen subtilis = ‘untergewebt, feingewebt’, dieses aus Lateinisch tela = ‘Gewebe’, zu Lateinisch texere = ‘weben, flechten’. Interessant erscheint mir diese Wurzel deshalb, weil die Nähe zum körperlich-faszialen bzw. bindegeweblichen Gebiete, woraus das Sensing seinen Ausgang hat, augenscheinlich ist. Die lumbale Faszie etwa im unteren Rücken ist scherengitterartig aufgebaut, also, wenn intakt, sehr divers verziehbar. Die Faszie im Ganzen ist ein großer, subtil beweglicher Gesamtzusammenhang, der Organe und Muskeln zart umschließt und sich differenziert am jeweiligen Orte entsprechend der Funktion ausprägt. Feinheit und Stabilität sind die Auszeichnung eines guten Gewebes, ob darin Kaffeebohnen transportiert oder der Rücken gebeugt oder gedreht wird.