Äußere Zwänge vs. Meditation / Eine Antwort
Kürzlich fragte mich einer meiner mir nahe stehenden Schüler: “Warum, wenn Meditation so reich ist in der Erfahrung, warum tun wir, oder ich, uns so schwer, den äußeren Zwängen uns zu widersetzen? Und der Meditation hinzugeben?”.
Weil ich glaube, dass viele Menschen Ähnliches umtreibt - auch mich -, möchte ich meinen Versuch einer Antwort auf diese ernsthafte Frage hier wiedergeben:
Lieber L.,
hab Dank für deine sinnvolle Frage, warum die Meditation, zumindest in unseren Breiten, nicht viel mehr um sich greift, wenn sie doch als so nützlich erkannt wurde, zuletzt sogar wissenschaftlich.
Der Mensch ist zunächst ein haptisches Wesen - er hat die Augen bekommen zu sehen, die Hände zum Tasten etc. Seine Sinne erlauben ihm, in den Raum auszugreifen, was zur Entwicklung seines Wesens unabdingbar ist. Durch die Wahrnehmung seiner Umwelt erkennt und erlebt sich im Rückschluss der Mensch. Aus diesem notwendigen Akt der Selbstwahrnehmung über ein Außen kann dann eine Pathogenität erwachsen, wenn in diesem Außen das Leben beschieden bleibt. Die Anbetung etwa der Natur ist solch eine Spitze, die einen Menschen anzeigt, der einzig in der nach außen gerichteten, sensorischen Haptik seine Erfüllung sucht.
Der spirituell-gereifte Mensch jedoch, der durch den obigen Akt hindurch gegangen ist, weiß, dass Erfüllung nicht nur im Augenschein seinen Ort haben kann. Denn dieser wandelt, kann sich herrlich oder auch schrecklich ausnehmen, je nach den wechselhaften Umständen in der (auch politischen) Welt. Erkennt der Mensch nicht die reichen Quellen der inneren Schau mit dem geistigen Auge, wird er ganz in der äußeren Welt aufgehen und sich von seiner inneren immer stärker abspalten. Es braucht einen entschiedenen Schritt im Leben des Menschen, die Stelle zu erahnen, wo er beginnt, alle äußere Erscheinung zu transzendieren und nicht mehr nur für bare Münze zu nehmen. Dies braucht wahrscheinlich eine große Affirmation des Selbsts, des eigenen Ich als Emanation Gottes. Es braucht das Große Fragen nach den Letzten Dingen, ein Interesse an der Totalen Erkenntnis, um jenen Schritt in die erlösende Meditation einzuleiten. Dieser Mensch muss bereit sein, sein Leben als göttliches Leben zu affirmieren, das sinnhaft und erlösungsbedürftig ist. Dieser Mensch muss in der Pflicht Gottes stehen, Ihm als Spiegel zu dienen, ja schließlich Ihn in sich erlebbar zu machen.
Die äußeren Zwänge, denen wir nicht genug Widerstand entgegensetzen, wie du sagst, haben ihre Kraft nur dann, wenn das eigene Fragen und Drängen auf diese innere Erkenntnis hin qua der Selbstaffirmation Gottes in sich noch nicht in letzter Konsequenz und Schärfe statt hat. Nicht die äußeren Zwänge sind das Problem, sondern die Entschiedenheit im eigenen Herzen, sich diesem zu stellen.
Lieber L., ich glaube an den Prozess in jedem Menschen. Deine Frage zeigt mir dein Drängen an, das dich auf die nächste Stufe heben wird. Bleibe nur da dran, geduldig ungeduldig, forsch und vertrauend - dann wird die meditative Kraft sich wie von selbst entwickeln und zur Äußerung bringen. Dessen bin ich mir sehr sicher.
Ich grüße dich ganz herzlich aus Garmisch, aus einem Haus voller Geweihe. Die Hähne haben schon aufgehört, ihren Weckruf erschallen zu lassen und die Sonne kletterte bereits hinab in die Gärten des Tales.
In der Hoffnung, dich bald wieder zu sehen!
Dein Bastian