Einkehr und Dialog / Rundbrief 09.05.2022

Spiritualität bedeutet ja, dass der Mensch es unternimmt, sich aus der Enge seiner selbst, seinen Prägungen und Verhaftungen, zu befreien. Er nimmt Verbindung auf mit der Energie und dem Geist, die jedem Leben innewohnt und alle(s) Leben verbindet. Auf diesem Weg in die größere Dimension seiner selbst hat er verschiedene Richtungen, in die er ausblicken kann: Nach innen etwa, neben sich oder auch über sich. Er kann körperlich meditieren, in der Natur sich öffnen oder auch zu Gott in Verbindung treten.

Auch für mich als Yogi liegt nicht immer der Weg nach innen offen, der sich in der konzentrierten Körperpraxis einstellen kann. Dann stillt eine Radfahrt an der frischen Luft den Geist und stimmt die Seele neu. Etwas Erdarbeit stiftet Verbindung zum Leben. Schließlich bin ich froh, in Gott ein Gegenüber zu spüren, dessen Gehör zu haben ich mir mittlerweile gewiss bin. Das sinnende Sprechen zu einem Gegenüber voll Liebe nennt man Beten. Der Beter aber stellt sich in einen Strom aus bergender Gewissheit.

"Mein Gott -- / Hörst du mich? / Ich spüre dich. / Ich möchte immer näher an dich rücken. // Gefällt dir, wie ich lebe? / Ich bin aufmerksam auf deine Zeichen. // Hab Dank für Atem, fließendes Blut und Selbstgefühl. // Und, oh Gott, / gib mir Kraft, auf dass ich / sie denen geben kann, / die sie brauchen. // Du bist der Geber, / Ich weiß um deine Güte. // Amen."

[Gustav Schlickeysen, der große Frugivor, gibt uns schon 1875 ein schönes Beispiel eines naturnahen Shavasana, wenn er schreibt: "Von allen sinnlichen Genüssen habe ich, nach getaner Pflicht und Arbeit, immer als einen der seligsten den empfunden, an einem Bergessaume mit dem Rücken auf dem Boden im Grase zu liegen. Ha, wie da Sonne und Luft das Herz beglückend beruhigen, wie die Glieder sich stärken und das Licht die Sinne umflutet, daß wir träumerisch die Augen schließen und endlich einmal am Busen der gütigen Mutter Natur wieder zum Bewusstsein eines freien und reinen Menschentums gelangen. Wir hören die Käferchen uns umschwirren, und wie durch ein Wiegenlied werden wir mit ihrem melodischen Summen in einen sanften Schlummer gewiegt"].